Gemütlich sitzt eine kleine Gruppe von Zuseherinnen und Zusehern im kleinen Bar- und Theaterraum in der Drachengasse. Auf den Tischen stehen Getränke, manch einer ist in ein Gespräch vertieft. Dass es losgeht, merken viele erst als Schauspielerin Aleksandra Corovic von der zu mimenden Last des Alters gebückt und mit zittriger Hand einen Mann aus der ersten Reihe bittet, ihr auf die Bühne zu helfen. Corovic ist gemeinsam mit Regisseur Steve Schmidt Begründerin des „Terraforming Arts Laboratorium (T.A.L.)“, ein Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat „durch die Verknüpfung von Lebens- und Wissensbereichen schöpferische Prozesse freizusetzten“, wie es im Programmheft heißt. Mit „Marie – Fragment“ präsentiert sich die Gruppe erstmals offiziell einem Publikum. Die Reaktionen im Großen und Ganzen positiv.

Vor allem Corovic überzeugt als 90jährige, die auf die Fragmente ihres Lebens zurückblickt. In einem Sofastuhl zwischen Unmengen von Kisten kauernd, liefert sie ein kleines Einmaleins der Schauspielkunst. Von tiefer Stimme mit zittriger Lippe wechselt sie mit dem Ablegen des ersten Kleidungsstückes zur Erzählerin mittleren Alters weiter zur jungen Frau mit lebendiger Stimme und unsicheren Gesten umso weiter ihr Monolog sie in die Vergangenheit trägt. Zurück in eine Zeit, die zum großen Teil von der Sorge um ihre Tochter Marie geprägt ist.

Bewusst Platz für Interpretation

Das Mädchen ist eine von jenen Jugendlichen, die den Kampf gegen die Magersucht verloren haben. Im Stück selbst fällt das Wort Magersucht jedoch kein einziges Mal. Vielmehr sind die Zuhörer angehalten, zwischen den Zeilen zu lesen. Bewusst lässt der junge deutsch-griechische Autor Aristoteles Chaitidis Fragen wie, wieso das Mädchen in die Magersucht schlitterte, und warum es letztendlich den Tod dem Leben den Vorzug gab, unbeantwortet. Die Mutter selbst erscheint als ängstlich, in einer recht lieblosen Ehe gefangen – doch auch das nur eine Interpretation einer Zuschauerin. „Lassen Sie sich nichts erzählen. Das Alter ist friedlich und heiter. Wenn man sich verausgabt hat“, heißt es zu Beginn. Gegen Ende döst die alte Dame, der das Schweigen über die Jahre nicht gut getan hat und die sich nun endlich erleichtert hat, umgeben von ihren Erinnerungskisten friedlich vor sich hin. In einer grotesk anmutenden Traumsequenz, betritt die Tochter als mit Schläuchen bestückter Geist in ihr Fett greifend die Bühne. Die Intention keine schlechte, die Ausführung jedoch übermäßig bizarr und so stellt sich bald der Wunsch ein, dass die alte Dame doch schon etwas früher in ihren verdienten Tiefschlaf geglitten wäre. Trotzdem ein interessanter Abend.

Marie – Ein Fragment
Ein Gastspiel von Terraforming Arts Laboratorium
von Aristoteles Chaitidis
Noch bis 3. Dezember 2016, 20 Uhr
Theater Drachengasse Bar&Co
Fleischmarkt 22, Eingang Drachengasse 2
1010 Wien
http://www.drachengasse.at

© Fotos: Olivia Rosenberger, Portrait von Oliver Brosmann

Geschrieben von Sandra Schäfer